Seit gestern sind wir wieder auf Station. Geplante Verlaufskontrolle. Ich mag diese Wortgruppe nicht. Da soll nichts verlaufen, da soll einfach nur „nichts“ sein!
Wir teilen uns ein Zimmer mit einem älteren Mädchen, dessen einzige Freuden der Fernseher und ihr Smartphone sind. Gleichzeitig. Ohne Pause. Vom Aufwachen am Morgen bis zur Nacht. Immerhin kann ich sie dazu bewegen, den Fernseher wenigstens am Abend auszustellen, als du müde einschlafen willst…
Die Nacht ist ein ständiges Kommen und Gehen, es ist mehr los als tagsüber. Es vergeht keine Stunde, in der nicht die Tür aufgeht und jemand zu unserer Bettnachbarin geht. Ich bin froh, dass du dich von dem Trubel nicht stören lässt und seelenruhig weiterschläfst. Nur irgendwann mitten in der Nacht, als die Nachtschwester deinen Blutdruck misst, äußerst du deinen Unmut. Ich bin genervt. Blutdruck messen? Jetzt? Wozu? Warum macht sie das? Sie schüttelt entschuldigend den Kopf und meint, sie könne die Anordnung auch nicht verstehen, aber sie müsse es nun mal tun, es sei so festgelegt.
Halb sieben am Morgen wache ich völlig gerädert auf, du hast Hunger und willst noch etwas essen, bevor du nüchtern bleiben musst. Du hast dich schon so sehr auf ein paar Cashewkerne und einen kleinen Obstriegel gefreut. Beides kaust du nun mit Genuss. Wir haben einen langen Vormittag vor uns, deine MRT-Kontrolle steht erst für Mittag auf dem Plan.
Beschwingt und singend machst du dich auf den Weg zur Spieleecke, wo du dich über die Kisten mit Lego hermachst. Das ist deine Welt! So langsam werde auch ich zum Lego-Profi – obwohl du meinst, dass ich noch echt viel zu lernen habe.
Zwischendurch wird die Flexüle gelegt. Du freust dich, dass dein Arm dafür ausgewählt wird und nicht deine Hand, denn so kannst du noch ungehindert die Legoteile weiter zusammenbauen. Ich gebe dir wieder meinen Daumen, damit du drücken kannst, wenn es pikst. Du schaust zu, wie die Flexüle in deinen Arm gestochen wird und drückst doch nicht meinen Daumen. Statt dessen rufst du ganz verwundert „Hey, ich hab gar nichts gemerkt! Das tat ja überhaupt nicht weh!“
Lego, Bücher, Lego. Es ist ein langer Vormittag, ich spiele meine aufsteigende Unruhe weg.
Die Schwester kommt unerwartet früh, eine Stunde eher als geplant, und vermeldet, dass es bei dir gleich losgehen kann. Sie bringt dir Dormicum in der Spritze und du schluckst es hinunter. Erst verziehst du deinen Mund, doch als die Schwester wieder aus dem Zimmer geht, trällerst du lachend „Dormicum ist mein liebstes Essen.“
Um halb elf fahre ich dich mit der Schwester runter zum MRT. Während der Fahrt streckst du deine Hand nach mir aus und streichelst mir über die Wange, als ich mich zu dir herunter beuge. Spürst du meine Unruhe? Kann ich sie doch so schlecht vor dir verbergen?
Als die Narkose eingeleitet wird, hältst du dir selber die Sauerstoffmaske vors Gesicht. Einatmen, Ausatmen… Du machst es mit Hingabe und freust dich, wie der Beutel beim Ausatmen größer und beim Einatmen wieder kleiner wird. Das Propofol gelangt in deine Vene und deine Augen beginnen zu flattern. Als deine Hand mit der Sauerstoffmaske schlaff wird, ziehe ich dein Lieblingstigernackenhörnchen unter deinem Kopf hervor und verabschiede mich von dir. Jetzt beginnt die Warterei…
Anderthalb Stunden später kommt der Anruf, dass du abgeholt werden kannst. Unglaublich, wie ewig sich anderthalb Stunden anfühlen können!
Du machst deine Augen kurz auf, als ich dir einen Kuss auf die Wange drücke und murmelst etwas Unverständliches. Wir fahren wieder hoch und du darfst wieder zu dir kommen. Einen Schluck Wasser, einen Bissen vom Mittagessen, allmählich wirst du wieder fit und bist die Überwachung samt Flexüle los.
Während du im Bett spielst, packe ich unsere Sachen in die Tasche. Es fehlt nur noch der Entlassungsbrief. Mit einer Auswertung der Ergebnisse rechne ich heute nicht.
Nach einer Weile kommt die Schwesternschülerin und sagt, dass sie jetzt mit der spielen wolle, damit ich mit dem Arzt die Ergebnisse besprechen könne. Das sind sie wieder, die Alarmglocken. Laut und unüberhörbar.
Ich lasse dich zurück und gehe mit dem Arzt in den Flur. „Es ist nichts Schlimmes“, sagt er zu mir, während wir zu den Stühlen gehen. Das passt nicht. Wenn es nichts Schlimmes wäre, würde er nicht mit mir unter vier Augen reden wollen.
In der Hand hält er deine MRT-Bilder. Kopf und Rücken. Einmal vom April, einmal von heute. Mit dem Stift zeigt er auf eine altbekannte Stelle und mir springt sofort der kleine helle Punkt ins Auge. Verdammt! Ich will das nicht sehen! Mir krampft sich das Herz zusammen. Es ist die Stelle, an der damals alles begann. Der Arzt erzählt etwas von „vorhersehbar“, „zu erwarten“ und „unheilbar“. Ich schaue ihn an und bin äußerlich ruhig, doch im Inneren brülle ich ihn an, dass er sich sein „zu erwarten“ sonstwohin stecken könne. Es ist mir egal, was die Statistik sagt. Hier geht es um dich und du bist keine Statistik.
Er wird die anderen Fachbereiche nach deren Meinung konsultieren und die Bilder ans Referenzzentrum weiter leiten. Wir haben keine Eile, aber auch keine Zeit zu verlieren.
5 mm von April bis jetzt…
Ich mag keine neuen Schlachtpläne machen, ich mag deinem Papa nicht sagen, dass doch wieder etwas da ist. Ich will einfach Ruhe haben vor dem ganzen Scheiß.
Es ist alles besprochen, der Arzt schaut mich durchdringend und etwas mitleidig an. Falls er erwartet, dass ich in Tränen ausbreche, tue ich ihm den Gefallen nicht. Nein, nicht hier, nicht mit mir. Ich gebe so einfach nicht auf. Er wird von uns keine weiße Flagge sehen. Ich nehme die Bilder und gehe zurück zu dir. Du freust dich, dass wir gehen können und setzt dir deinen kleinen Rucksack auf den Rücken. Wir holen uns noch deine Mutperlen ab und verabschieden uns von den Schwestern. Du bist ein so fröhliches Kind, das soll auch bitte so bleiben!
Wir gehen aus dem Haus Richtung Parkplatz. Vor dem Haus sitzt eine Frau, direkt neben ihr im Kinderwagen ihr kleines Kind. Sie bläst ihrem Kind ungerührt den Zigarettenrauch ins Gesicht und ich könnte ihr dafür wiederum ins Gesicht springen. Ich verstehe es nicht. Dieses kleine Kind – ein so wertvolles Geschenk!
Noch grüble ich, wie es es deinem Papa sagen soll. Schon vorab am Telefon? Oder doch erst daheim? Während ich die Varianten im Kopf durchspiele, hast du auf dem Gehweg eine Rille entdeckt, in die Eicheln gerutscht sind und die du nun heraus holen willst. Du kauerst dich hin und streckst die Hand nach einer Eichel aus, als du dein Gleichgewicht verlierst und der Rucksack dich nach hinten zieht. Du kannst dich abfangen, aber das so unglücklich, dass du vor Schmerzen laut los brüllst. Dein Arm tut weh, du kannst ihn nicht mehr bewegen. Bitte nicht das auch noch. Ich muss an dein Bein denken und tröste dich. Ein paar Minuten lang sitzen wir auf dem Gehweg, dann will ich mit dir zum Auto weiter laufen. Du weinst und sagst, du kannst nicht mehr laufen, also trage ich dich. Selbst beim Tragen weinst du vor Schmerzen. „Das tut so weh, wenn der Wind an den Arm kommt.“ Ich mache eine Pause und taste deinen Arm ab. Wir testen, ob du alles bewegen kannst. Finger sind kein Problem, aber den Arm kannst du nicht drehen. Doch ein Bruch? Der Sturz ist eine Viertelstunde her und es ist nicht besser geworden. Noch sind wir auf dem Klinikgelände. Ich habe keine Lust, wieder hier her zurück zu fahren, falls es daheim immer noch so schmerzt. Also drehen wir um und gehen zur Unfallchirurgie. Du auf meinem linken Arm, rechts habe ich unsere Kliniktasche. Warst du schon immer so schwer? Ich brauche ein paar Pausen zum Verschnaufen. Du weinst in mein Ohr „Ich ärgere mich so über mich. Hätte ich mich doch bloß nicht gebückt.“. Ach mein liebstes Konradkind, so etwas passiert. So was passiert jedem mal, kein Grund zum Ärgern. Gar nicht.
In der Unfallchirurgie checkt die Schwester deinen Arm und weil sie einen Bruch nicht ausschließen kann, wirst du geröntgt. Früh MRT, abends röntgen… Ich ergebe mich und sehe dich schon mit einem Gipsarm zu Hause ankommen. Das Röntgen ist eine Qual für dich, da du den Arm drehen sollst und es kaum kannst. Zum Glück gibt es nach ein paar Minuten Entwarnung: kein Bruch. Immerhin eine gute Nachricht heute. Dein verstauchter Arm bekommt einen Salbenverband, der die Schwellung und die Schmerzen lindern soll und wir können nun endlich nach Hause.
Auf in die nächste Runde.
Ach liebe Dani-Familie … Viel Kraft plus Daumen drücken und ganz viel Liebe … Ich/wir bin/sind in Gedanken bei euch … Katja mit Mann & Kids
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Liebe Katja, ich weiß das sehr zu schätzen. Alles wird gut. Ganz lieben Dank und viele Grüße an euch!
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Liebe Familie,
sind in Gedanken bei euch und bei Konrad. Wünschen euch für die OP alles Gute. Drücken ganz fest die Daumen. Es wird alles gut :-).
Ganz liebe Grüße aus Efringen-Kirchen.
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Liebe Margret,
ich danke dir und deinen Lieben für die Daumen. Eine OP wird es nicht geben, aber gedrückt dürfen die Daumen gerne bleiben, es gibt ja noch mehr Möglichkeiten.
Ich bin immer noch über die Ergebnisse von eurem Elia erleichtert und hoffe, dass es immer so bleibt!
Alles Liebe
Daniela
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