Wir starten früh in einen Tag, der neben einigen Terminen das endgültige Ende deiner Therapie bringen wird.
Im sonnigen Flockenwirbel fahren wir zur Klinik.
Halb zehn sind wir zur Nachsorge in der Strahlentherapie bestellt. Während ich mit dir in das Wartezimmer gehe, weinst du bitterlich. Auf meine Frage, ob du Angst hast, antwortest du mit einem durchdringenden „Jaaajaaajaaaa!“
Ich beruhige dich. Du musst keine Angst haben, es wird nichts Schlimmes passieren. Die Ärzte werden nur mit uns reden und deine Bestrahlungsstellen anschauen. Diese Stellen sind bereits mit einem leichten Flaum bedeckt, deine Haare wachsen auch dort wieder.
Im Wartezimmer sitzt du auf meinem Schoß und klammerst dich fest an mich. Ich streichle deinen Kopf und summe ein Lied und nach nur wenigen Minuten merke ich, dass du tief und ruhig atmest – du bist eingeschlafen.
Du schläfst auch dann noch, als wir aufgerufen werden und ich mit dir auf dem Arm ins Sprechzimmer gehe. Die Ärztin befragt mich, wie du die Bestrahlung überstanden hast und ob ich Defizite im Vergleich zu Gleichaltrigen bei dir festgestellt habe.
Das Gespräch dauert nicht lange, danach ziehe ich dir wieder deinen Schneeanzug an und mache mich auf den Weg in die Tagesklinik. Du lässt dich nicht stören und schläfst immer noch tief und fest.
Bevor wir in die Tagesklinik gehen, mache ich einen Abstecher ins Nachbargebäude, um die letzten Unterlagen für die Beantragung der Familienreha abzuholen. Da unsere Ansprechpartnerin gerade im Gespräch ist, setze ich mich mit dir auf eine Bank und warte. Nach einer ganzen Weile öffnet sich die Tür, nun kann ich die letzten Formalitäten klären.
Wir verlassen das Gebäude und gerade als wir zur Tür hinaustreten, wachst du auf. Perfektes Timing. Jetzt folgen die allerletzten Schritte zum endgültigen Ende der Behandlung. Nicht mehr lang und außer einigen Narben und deinem Knickauge wird nichts mehr an das erinnern, was du durchstehen musstest.
In der Tagesklinik vertreiben wir uns die Wartezeit mit Spielen und Smalltalk mit einem Jungen – er und seine Mutter sind die einzigen, die wir noch kennen. Alle anderen anwesenden Kinder sind auf Station gekommen als wir schon nicht mehr da waren.
Wir nutzen die Zeit und Gelegenheit und machen einen Abstecher eine Etage höher zur Stationserzieherin. Ihr wollen wir noch etwas überreichen und gleichzeitig deine Abschlussperle abholen. Die allerletzte Perle für deine Kette. Über 300 Perlen sind schon aufgefädelt, heute kommen die letzten dazu.
Die Schwestern freuen sich, dich wieder zu sehen. Mit deinen vielen Haaren, auf deinen eigenen Beinen unterwegs und inzwischen um einiges gewachsen erkennen sie dich anfangs kaum wieder. Sie staunen, wie schnell aus dem Baby von damals nun ein waschechter Junge geworden ist.
Von der Erzieherin bekommst du ein kleines Abschiedsgeschenk, eingepackt in Geschenkpapier und verziert mit bunten Bändern. Stolz trägst du es auf dem Weg nach unten vor dir her.
Die Schwester der Tagesklinik ruft uns auf und du stiefelst zielstrebig Richtung Behandlungszimmer los. Ich schnappe mir meine Tasche und folge dir. Zum letzten Mal gehen wir in dieses Zimmer.
Uns erwartet bereits die Ärztin. Während ich dir Oberteil und Unterhemd hochziehe und das kleine Pflaster entferne, zieht sie sich die sterilen Handschuhe an. Mit einem Schnitt durchtrennt sie den Faden an der Stelle, wo vor genau 364 Tagen der erste Hickman aus deinem Bauch herauskam. Ein einziger klitzekleiner Schnitt, der das Ende markiert. Jetzt ist wirklich und tatsächlich alles abgeschlossen. Der letzte Schritt zur Normalität, unfassbar! Wie lange haben wir darauf gewartet, nun ist es endlich soweit! Konrad ganz ohne Pflaster am Bauch – auch du musst dich nach einem Jahr Hickman erst daran gewöhnen.
Es folgt eine letzte Blutabnahme zur Kontrolle des Candida-Antigens. Die Ärztin entscheidet sich für deine rechte Hand. Ich nehme dich in den Arm: „Jetzt wird es piksen, aber das ist gleich vorbei. Du musst mal noch ganz kurz tapfer sein.“ „Tader, tader“, antwortest du und noch während ich überlege, ob du verstehst, was ich damit sagen will, sticht die Ärztin die Kanüle in deinen Handrücken. Im Vergleich zu deiner kleinen Hand ist die Kanüle riesig und ich rechne fest damit, dass du gleich weinen wirst. Doch du bleibst still, verziehst noch nicht einmal das Gesicht. Du wartest einfach in stoischer Ruhe ab, während dein Blut aus der Kanüle in ein kleines Röhrchen tropft.
Der Stich wird mit einem Pflaster versorgt, ich ziehe dich an und wir kehren der Tagesklinik endgültig den Rücken. Von nun an werden wir nur noch hier her zurück kommen, wenn ein MRT auf dem Plan steht. Die Nachsorge läuft ab jetzt über das SPZ, doch dort haben wir den ersten Termin erst Ende März. Anderthalb Monate keine Termine! Wir sind frei!
Es! ist! vorbei!
Kapitel abgeschlossen!

Es ist einfach nur unfassbar, wie ihr das gemeistert habt. Ihr könnt wirklich sehr stolz auf euch sein. Dein Blog ist so mitreißend, dass ich ihn auf einmal komplett durchgelesen hatte als ich durch Zufall darauf gestoßen bin. Ich drücke die Daumen für die nächste Untersuchung und noch ganz viel Glück für den kleinen Kämpfer und für seine tolle Familie.
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Liebe Josephine,
vielen Dank für deine Daumen und die lieben Komplimente.
Du erinnerst mich daran, dass ich unbedingt den Blog nachtragen sollte. Also dann, ran ans Werk. 🙂
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