Seit gestern wissen wir, dass du um 7 Uhr in der Chirurgie sein musst. Wir haben erst die Gespräche mit Anästhesisten und Chirurgen, danach wird endlich dein Hickman entfernt.
Die letzten Bauchschlauchstunden sind gezählt. Heute ist es 354 Tagen her, dass er implantiert wurde, nun kommt er endlich raus.
7 Uhr ist verdammt zeitig. Ich stehe halb sechs auf und packe alles für den Tag in meine Tasche: Narkosewindel, Getränk und Essen für dich nach der Narkose, Bücher gegen Langeweile und schließlich die unterschriebenen Aufklärungsbögen. Kurz vor 6 Uhr wecke ich dich. Du bist hundemüde und lässt deinem Unmut lautstark freien Lauf. Papa hilft mir, dich fertig zu machen und so kommen wir pünktlich aus dem Haus.
Während ich dich ins Auto setze, schaust du zum Fenster hoch, von wo aus Papa uns zuschaut. Heute ist verkehrte Welt – sonst stehen wir am Fenster. Du hebst deine Hand und winkst ihm zu. Du winkst auch noch, als ich mit dem Auto in die nächste Straße abbiege.
10 Minuten vor um sieben stehen wir vor den Schwestern der Chirurgie. Ich gebe die Aufklärungsbögen ab, dann werden wir in den Warteraum geschickt, wo bereits eine andere Familie wartet.
Der diensthabende Arzt holt uns nur wenig später zum Gespräch ab. Es folgt das Übliche – Risiken, Nebenwirkungen etc. Bis jetzt bin ich davon ausgegangen, dass du gleich früh die OP hast. Doch nun erfahre ich, dass du „irgendwann im Laufe des Vormittags“ operiert werden sollst. Im ersten Moment bin ich bedient, wer weiß, wie lange du noch warten musst.
Aber gleich nach dem Gespräch teilt mir die Schwester mit, dass du als erster Patient im Plan stehst. Das heißt, dass wir nur bis etwa um neun warten müssen.
Wir beziehen das Zimmer, das wir mit drei anderen Patienten teilen. Einer davon ist ein anderes Kind von der Onkologie, dem heute ebenfalls der Hickman entfernt wird.
Gegen halb neun kommt die Schwester und gibt Bescheid, dass es gleich losgeht. Ich ziehe dir das schicke OP-Hemdchen an und du bekommst eine Gabe Dormicum.
Danach machen wir uns auf den Weg in den OP. Bei den vielen letzten Narkosen blieb ich stets bei dir bis die Narkose gewirkt hat. Heute muss ich mich bereits vorher von dir verabschieden. Die OP-Schwester nimmt dich auf den Arm und trägt dich weg – es bricht mir das Herz, als du deinen Arm nach mir ausstreckst, nach mir greifst und „Mama!“ rufst…
In anderthalb Stunden wirst du den OP voraussichtlich verlassen, dann endlichendlichendlich ohne Katheter.
Um zehn Uhr wird dein Nachbarbettjunge in den OP gefahren – das heißt, dass du die OP überstanden hast! Ich warte gespannt auf die Schwester, die mich zu dir bringen wird. Doch nichts geschieht. Wie ich diese Warterei hasse! Ich werde mich nie daran gewöhnen.
Eine halbe Stunde später frage ich die Schwester, wann du endlich zurück kommst. Die Antwort ist ernüchternd: du bist zwar fertig, schläfst aber noch (logisch, du gehst nahtlos in den Mittagsschlaf über, kennen wir ja noch von der Bestrahlung) und kommst erst hoch, wenn du wach bist. Ich darf nicht zu dir wie sonst, wenn du die Narkose ausschläfst. Ich muss hier warten.
Ich war IMMER da, wenn du im Aufwachraum lagst und wach wurdest. Und heute, bei deiner allerletzten OP, soll das nicht gehen?
Ich bin traurig – und beschließe trotzig, dass ich, wenn ich schon nicht zu dir in den Aufwachraum darf, eben direkt vor der Tür warten werde. Dann bin ich wenigstens gleich da, wenn du wach wirst.
Gesagt, getan. Bis halb zwölf muss ich warten, bis endlich dir Tür aufgeht und ich zu dir kann. Ab jetzt bist du unser neuer alter Konrad ganz ohne Schlauch!
Die OP verlief reibungslos, alles ist gut und es musste auch kein zusätzlicher Schnitt am Hals gemacht werden. Nun hast du nur noch ein vergleichsweise klitzekleines Pflaster am Bauch. In 7-10 Tagen können die Fäden gezogen werden.
Wieder auf dem Zimmer siegt der Hunger über den OP-Jammer. Du isst wie ein Scheunendrescher und deine Laune hellt sich auf.
Laut Schwester können wir um eins wieder nach Hause fahren, wenn es dir gut geht.
Es zieht sich quälend lange bis um drei Uhr hin, bis der Papierkram erledigt und die Kanüle an deiner Hand gezogen ist. Dann endlich packen wir unsere Sachen und fahren heimwärts.
Auf der Heimfahrt schläfst du wieder ein, der Tag hat dich angestrengt.
Eigentlich wollten wir, wenn Justus und Papa nach Hause kommen, gemeinsam das gute Ende feiern. Doch du schläfst und schläfst und verschläfst dabei den ganzen Nachmittag.
Schon in ein paar Tagen kannst du mit Papa und Justus in die Badewanne, ganz ohne störenden Verband und ohne dass wir ständig aufpassen müssen, dass du ihn nicht nass machst.
Justus untersucht deinen Bauch und stellt mit Kennerblick fest: „Konrad kann erst baden, wenn das Loch ganz verheilt ist, sonst läuft er ja mit Wasser voll.“