Die Zeit zieht sich hin… Nach den donnerstäglichen Chemos bist du jedes Mal fertig. Mindestens drei Tage lang. Dazu die Bestrahlung, die die letzten zwei Wochen auch Samstags war und wir somit nur den Sonntag zum Erholen hatten – es zehrt an den Nerven.
Ich werde froh sein, wenn du diese Woche deine letzte Chemo hinter dich gebracht hast und wenigstens dieses Kapitel abgeschlossen sein wird.
Übermorgen haben wir das Gespräch zur Zweitmeinung. Ich bin gespannt, ob es für uns neue Erkenntnisse bringen wird…
Letzte Nacht ist die bisher kürzeste Nacht seit wir in Heidelberg sind. Um zwei wirst du wach und turnst bis um fünf herum. Dir geht es nicht schlecht, du weinst nicht viel, aber bist eben putzmunter. Wie gern hätte ich noch ein paar Stündchen geschlafen! Doch es ist absolut nichts zu machen. Mit der Zeit kann das Nervenkostüm ganz schön bröckeln…
Am Morgen verschlafen wir fast, kommen aber pünktlich im HIT an und ich freue mich auf die Ruhepause im Aufwachraum. Vielleicht kann ich dort auch ein wenig Kraft tanken bis du wach wirst.
Meine Hoffnung wird allerdings jäh zerstört, als wir im Aufwachraum ankommen und die Schwester dir, noch bevor ich mich überhaupt setzen kann, das Thermometer ins Ohr steckt. Was zum Kuckuck soll das?! Du wachst natürlich auf – weder munter noch müde. Du hängst zwischen allen Seinszuständen fest, verleierst ständig die Augen und brüllst aus Leibeskräften. Ich bekomme dich weder beruhigt noch wieder zum Schlafen, obwohl du die Narkose noch nicht überstanden hast. Hätte die Schwester nicht – wie all ihre anderen Kollegen es die letzten 22 Male getan haben – warten können, bis du wach bist? Gerade nach dieser Nacht wäre es schön gewesen, du hättest dich ausschlafen dürfen. Ich bin pappsatt. Daran ändert auch das Einsehen der Schwester nichts.
Als ich dich aus dem Bett nehme, bist du klatschnass. Nasser Pullover, nasses Unterhemd, nasse Hose. Was haben die Anästhesisten mit dir gemacht? Die halbe Flasche Desinfektionslösung auf dich gekippt? Das einzige, was trocken ist, sind Schlüppi und Strumpfhose. Das habe ich sogar noch als Wechselsachen dabei. Bringt mir aber in dem Moment nicht viel.
Ich lasse mir ein Spucktuch geben und klemme es dir zwischen Unterhemd und Bauch, während du noch immer unentwegt brüllst. Bevor ich ganz explodiere packe ich unsere Sachen und gehe. Ab nach Hause. Und du brüllend in der Manduca. Ich könnte heulen. Dieses Augenverleiern und deine Zuckungen erinnern mich ganz schrecklich an die Zeit im Januar, bevor die Diagnose gestellt wurde…
Eine halbe Stunde später beruhigst du dich und kommst zu dir – wir erreichen zu einer Zeit unsere Wohnung, zu der du normalerweise noch schlafend im Aufwachraum liegst.
Nach einem Mittagessen und einer kleinen Spielerunde bist du soweit, dass du den verlorenen Schlaf nachholen willst. Eine kleine Pause! Ich nutze die Gelegenheit und lege mich neben dich. Höre dir beim Atmen zu, spüre deine kleinen Bewegungen und sehe deine zarten blonden Haare. Es ist alles so friedlich und meine Gereiztheit verfliegt.